Für ein eigenes Leben ist Antonio bereit zum Horrortrip
Ein 28-jähriger Körperbehinderter will sein Leben selbst gestalten-Auseinandersetzung mit dem Sozialamt wegen der Finanzierung
TAMM. Der körperbehinderte Antonio Florio möchte in seiner eigenen Wohnung leben. Ohne fremde Hilfe kommt der 28-Jährige nicht zurecht, was die Kosten für sein Traumleben verdoppelt. Für diese möchte das Sozialamt nicht aufkommen. Antonio Florio kämpft.
Von Verena Mayer
Für Antonio Florio ist am 1. Mai dieses Jahres ein Traum in Erfüllung gegangen. An diesem Tag hat der 28-Jährige seine erste eigene Wohnung bezogen. Nach fünfmonatiger Suche hat er sie in der Tammer Schillerstraße gefunden. 70 Quadratmeter ist sie groß, 560 Euro Warmmiete muss er dafür bezahlen. „Ich habe alles in Kauf genommen für ein selbstständiges Leben“, sagt Antonio Florio, der seit seiner Geburt schwer körperbehindert ist, im Rollstuhl sitzt und bei fast allem was er tut, auf fremde Hilfe angewiesen ist. Von seiner Familie hat er sich unabhängig gemacht, als er nach vielen Diskussionen in eine Wohngemeinschaft des Vereins Insel in Schwieberdingen gezogen ist. Von dem „exakt vorgeschriebenen Tagesablauf“ hat er sich unabhängig machen wollen, indem er dort zwar weiter als Schreibkraft arbeitet, jedoch in seiner Wohnung lebt und sein eigenes Pflegepersonal einstellt. So kann er essen, wann und was er möchte, kann abends ins Kino oder auf den Wasen und hat nur Helfer um sich, die er mag.
„Arbeitgebermodell“ heißt die gesetzlich geregelte Form, die ihr Vorbild in den Niederlanden hat und die es Behinderten ermöglichen soll, ein relativ unabhängiges und normales Leben in der Gesellschaft zu führen. Doch zum Nulltarif ist es nicht zu haben, wie Leonhard Steigmeier, der Anwalt von Antonio Florio, es ausdrückt. Dieser soll für seinen Mandanten die Finanzierung des Arbeitgebermodells erwirken. Zuständig für diese ist das Sozialamt des Landkreises Ludwigsburg, das die Kosten aber als „unverhältnismäßig“ bezeichnet und deshalb nicht zahlen möchte.
Fast 6200 Euro benötigt Antonio Florio pro Monat, um seine Pflegekräfte zu bezahlen, die an sieben Tagen die Woche jeweils etwa 13 Stunden lang bei ihm sind, sowie deren Krankenkassenbeiträge. Für rund 5900 Euro davon müsste das Sozialamt aufkommen. Als Antonio Florio von der Insel betreut wurde, hat dies monatliche Kosten von knapp 4000 Euro verursacht, etwa 2600 Euro davon hatte das Sozialamt zu zahlen, den Rest übernahm die Krankenkasse des 28-Jährigen.
„Wenn ich das hier durchboxe, stehen morgen zwei andere da und wollen dasselbe“, sagt Antonio Florio. Er glaubt, die Verhinderungstaktik des Sozialamts zu durchschauen. Doch der Sozialdezernent des Landkreises, Bruno Kneisler, widerspricht. Bereits bei der Insel, deren Ziel es ist, behinderten Menschen eine Chance für ein bedingtes selbstständiges Leben zu geben, sei das Leben des 28-Jährigen zumutbar gewesen. Auch dort habe er es relativ frei gestalten können. Außerdem müsse man gegenüber dem Steuerzahler verantwortlich rechnen. Mehr als 3500 Euro könne das Sozialamt für Florios Pflege nicht ausgeben.
In einigen Wochen werden sich die Parteien vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht begegnen. Dann muss AntonioFlorio darstellen, dass es für ihn eben nicht zumutbar ist, in einer Insel-Wohngemeinschaft zu leben, weil er dort so gut wie nichts in eigener Regie unternehmen könne. Schlecht reden möchte der Hobby-Schachspieler über seinen Arbeitgeber und ehemaligen Betreuer nicht gerne. Doch tut er es nicht, „kann ich mir das hier abschminken“, sagt Antonio Florio und zeigt in seiner Wohnung umher.
Bis jetzt hat Antonio Florio seinen Assistenten noch keinen Lohn bezahlen können. Sie stehen dennoch hinter dem selbstbewussten Mann, finden, das Arbeitgebermodell soll es „ohne Wenn und Aber“ geben. Der Leiter der Insel-Geschäftsstelle, Dietmar Heck, sagt, er wünsche Antonio Florio „unglaublich“, dass er es schafft.
Was auf diesen noch zukommen kann, bezeichnet sein Anwalt Leonhard Steigmeier aus seiner zehnjährigen Erfahrung mit solchen Fällen als „Horrortrip“. Antonio Florio sagt dennoch: „Ich gebe nicht auf.“
Er wäre bis jetzt der Einzige, der das Modell im Kreis Ludwigsburg für sich in Anspruch nehmen würde.
Selbst kochen kann Antonio Florio nicht. Doch der 28 Jahre alte Mann möchte unter anderem wenigstens bestimmen können, wann es etwas zu Essen gibt.
Quelle: Stuttgarter Zeitung vom 05. Oktober 2002
Ich bedanke mich bei der Autorin und der Stuttgarter Zeitung für die Genehmigung der Übernahme.