Stuttgarter Zeitung vom 07.03.2006

Antonio Florio schreibt die Geschichte fort
Für ein selbst bestimmtes Leben fordert der behinderte Mann mehr Geld vom Landratsamt

TAMM. Seit vier Jahren lebt der behinderte Antonio Florio in einer eigenen Wohnung und stellt seine Pfleger selbst ein. Seit vier Jahren kämpft der 31-Jährige aber auch um das Geld, damit er sich dieses Leben leisten kann.

Von Verena Mayer

Antonio Florios Geschichte ist schon oft aufgeschrieben worden. Es ist die Geschichte eines schwer behinderten Mannes, der so leben möchte, wie es ihm gefällt. In seiner eigenen Wohnung, mit Helfern, die er selbst einstellt. Eine schöne Geschichte, eigentlich. Doch die Geschichten darüber haben kein gutes Ende. Eigentlich haben sie gar kein Ende. Denn bis jetzt fehlt dem 31 Jahre alten Mann das nötige Geld für sein Leben. Im Mai vor vier Jahren hat dieses Leben begonnen. In einem Hochhaus in Tamm hatte Antonio Florio, der seit seiner Geburt spastisch gelähmt ist und bei allem, was er tut, Hilfe benötigt, eine eigene Mietwohnung gefunden. Zuvor hatte er acht Jahre lang in einer Wohngemeinschaft der „Initiative Selbstständiges Leben Behinderter im Landkreis Ludwigsburg“, kurz Insel, gewohnt. Dann wollte er selbst bestimmen, wer ihn pflegt, wann es was zu Essen gibt, wann er wohin geht und zurückkommt. Seit vier Jahren führt der Patient der Pflegestufe drei also Vorstellungsgespräche mit Pflegern und Helfern, erstellt Dienstpläne, macht die Buchführung und überweist Löhne – zumindest manchmal.

Und Antonio Florio verbringt viel Zeit damit, das Landratsamt davon zu überzeugen, dass es die gesamten Kosten für sein so genanntes Arbeitergebermodell bezahlen soll. So wie es zuvor die Kosten für das betreute Wohnen bei der Insel übernommen hatte. Doch das ist nicht einfach, und so treffen sich Antonio Florio und ein Vertreter der Behörde wahrscheinlich bald erneut vor Gericht. Dabei wird es mal wieder darum gehen, wie viel Pflege AntonioFlorio braucht und was sie kosten darf.

Bei der Insel hat Florio das Amt 2800 Euro im Monat gekostet, nun bezahlt es rund 3000 Euro und ist überzeugt, dass diese Summe für die täglichen 11,25 Stunden Pflege ausreicht. Antonio Florio sagt, dass sie nicht ausreicht. Zurzeit kümmern sich insgesamt elf geringfügig Beschäftigte und zwei fest angestellte Pfleger um Antonio Florio. Sie waschen ihn, kleiden ihn an, bringen ihn zur Arbeit, holen ihn ab, helfen ihm beim Telefonieren, bekochen und füttern ihn, kaufen mit ihm ein, fahren mit ihm aufs Frühlingsfest oder zu Schachturnieren, bringen ihn zu Bett. Vieles, was die Pfleger und Helfer für ihn tun, tun sie aus Freundschaft. Aber vieles kostet eben doch. Mehr als Florio bezahlen kann, inzwischen hat er mehr als 30 000 Euro Schulden, einen Großteil bei den zwei fest Angestellten.

Es sei paradox, sagt der behinderte Unternehmer „Ich habe ziemlich viel Ärger und ziemlich viele Rückschläge, aber meine persönliche Entwicklung geht immer weiter.“ Inzwischen ist sie so weit gegangen, dass die Insel ihren ehemaligen Bewohner nicht mehr aufnehmen würde. „Wir wollen Menschen mit Behinderung in die Selbstständigkeit führen“, sagt Albert Vogel, der Vorsitzende der Insel. „Herr Florio hat dieses Ziel erreicht, er braucht das betreute Wohnen nicht mehr.“

Dem Landratsamt als Sozialhilfeträger ist der Preis für diese Entwicklung zu hoch. Damit Antonio Florio mit den gewährten 3000 Euro auskommt, schlägt es vor, einen der fest angestellten Pfleger durch drei weitere geringfügig Beschäftigte zu ersetzen. Angesichts der ohnehin hohen Zahl von Betreuern sei dies zumutbar. Antonio Florio sieht das anders: „In der Praxis geht das nicht.“ Dadurch geriete sein Alltag durcheinander, den er in den vergangenen Jahren ohnehin immer straffer organisiert hat.

Ursprünglich nämlich hatte Antonio Florio 4700 Euro für sein Leben gefordert, doch mit immer mehr Helfern und immer neuen Organisationsmodellen, hat er seinen Bedarf nun auf rund 3200 Euro heruntergerechnet. „Herr Florio bemüht sich, sein System so günstig wie möglich zu halten, doch das wird nicht anerkannt“, sagt Leonhard Steigmeier, der Anwalt von Antonio Florio – der vermutlich kein Honorar bekommen wird, weil sein Mandant sich das nicht leisten kann. Leonhard Steigmeier hatte Antonio Florio schon einmal vertreten. Als das Verwaltungsgericht dann aber gegen Florio entschieden hatte, legte er das Mandat nieder. Nun, da die Insel Antonio Florio nicht mehr aufnehmen würde, sieht der Anwalt eine neue Chance.

Es sei eine Schande, sagt er, wie da ein Mensch in Angst und Schrecken versetzt werde – wegen 200 Euro im Monat. Das Landratsamt sagt, dass man nicht nur die 200 Euro im Monat sehen könne. Florio werde jahrzehntelang viele tausend Euro bekommen. In den vergangenen vier Jahren hat es einige Momente gegeben, in denen FlorioAntonio Florio an diesem Abend einen Satz, der die Geschichte wieder weitergehen lässt, und den er in vergangenen vier Jahren schon oft gesagt hat: „Ich kämpfe weiter.“ aufgeben wollte. Aber dann hätten ihn seine Freunde immer wieder aufgebaut. Deshalb sagt Antonio Florio an diesem Abend einen Satz, der die Geschichte wieder weitergehen lässt, und den er in vergangenen vier Jahren schon oft gesagt hat: „Ich kämpfe weiter.“

Quelle: Stuttgarter Zeitung vom 07. März 2006
Ich bedanke mich bei der Autorin und der Stuttgarter Zeitung für die Genehmigung der Übernahme.